Jubiläum - Der Liederkranz Sondelfingen feiert heuer sein 125-jähriges Bestehen. Festauftakt am kommenden Sonntag

Klangvolle Geschichte

Von Heike Krüger

REUTLINGEN-SONDELFINGEN. Als der Liederkranz Sondelfingen vor nunmehr 125 Jahren aus der Taufe gehoben wurde, war dies beileibe keine Selbstverständlichkeit. Zu einer Zeit, da die Staatsmächtigen auf Grundlage des Bismarck'schen Sozialistengesetzes Zusammenschlüsse jedweder Art äußerst argwöhnisch beäugten, geriet man nämlich nur allzu rasch in den Ruch ein »Revoluzzer« zu sein. Im Norden und Osten des Kaiserreichs mehr noch als im Süden.

Ob's letztlich am Sondelfinger Standortvorteil lag, dass sich einige Sangesfreunde zur Chorgemeinschaft formieren durften? Das lässt sich heute nicht mehr beantworten. Zu dünn, so Liederkranz-Vorsitzender Karl Ruggaber, sei die archivalische Quellenlage, als dass sich die genauen Umstände rekonstruieren ließen. Immerhin: »Wir wissen, dass sich der Chor aus den Reihen des Sondelfinger Militärvereins rekrutierte.« Und dass er sich zunächst als Gesangverein bezeichnete.

»Armer Flecken zweiter Klasse«

Sondelfingen war zu diesem Zeitpunkt ein winziger Punkt auf der Landkarte. Dem Oberamt Urach unterstellt wird der Ort in behördlichen Dokumenten als »armer Flecken zweiter Klasse« bezeichnet. Angesichts dieser verbrieften Bedeutungslosigkeit nimmt es denn auch kaum Wunder, dass es aus der Frühzeit des Vereins fast keine schriftlichen Belege gibt. Nicht einmal eine Gründungsurkunde kann der Liederkranz sein Eigen nennen.

Mithin sind es mehr oder weniger verstreute Hinweise, die Ruggaber und Dirigent Robert Wieland an der Hand haben, wenn es um die frühe Vereins-Historie geht. In ihrer Summe verdichten sie sich allerdings zur Gewissheit: Und für Ruggaber und Wieland steht darum zweifelsfrei fest, dass die Geburtsstunde ihrer Chorgemeinschaft anno 1885 schlug.

 

Mit Karl Schenk als Vorstand und Lehrer Volz als Chorleiter etablierte sich die Gruppe im Nu. Immer mehr Mitglieder schlossen sich dem damals einzigen Verein am Flecken an, der im Jahre 1906 zur feierlichen Fahnenweihe schritt. Das älteste Foto aus dem Liederkranz-Archiv hält diesen mit Pomp begangenen Tag für die Nachwelt fest. Auf ihm posieren junge Frauen in blütenweißen Kleidern und Herren mit Zylinderhüten. Allesamt blicken sie nachgerade würdevoll in die Kamera. Es muss für sie ein erhebender Moment gewesen sein.

Dann der Erste Weltkrieg. 1914 gelang es den Liederkränzlern - der Chor hatte sich im Zuge der Fahnenweihe von Gesangverein in Liederkranz umgetauft - noch, das kulturelle Leben vor Ort zu bereichern. Doch schon ein Jahr später sah es zappenduster aus. Immer mehr Mitglieder wurden ins Feld geschickt. An Konzerte war nicht mehr zu denken.

Entbehrung und Inflation

Erst 1919 sollte das Vereinsleben wieder in geordneten Bahnen verlaufen - jetzt in kleinerer Besetzung. Denn der Krieg hatte auch innerhalb des Liederkranzes Opfer gefordert. Sieben Mitglieder waren gefallen, eines galt als vermisst und drei Männer befanden sich bei Wiederaufnahme der Singstunden noch in Gefangenschaft. Alle Übrigen freilich legten sich stimmlich ins Zeug - immer dienstags, donnerstags und sonntags.

 

Der Chor gedieh, obschon die Nachkriegszeit von Entbehrung und Inflation gezeichnet war. Letztere fand ihren Niederschlag auch im Vereinsprotokoll. In einer Notiz des Jahres 1923 steht zu lesen: »Der Jahresabschluss im Kassenbuch beträgt 20 Milliarden Mark.« Andere Einträge atmen stärkere Vertrautheit. Etwa der aus dem Jahr 1930. Hier wird der »schlechte Singstundenbesuch« gerügt. Die Moral muss derart zu wünschen übrig gelassen haben, dass sich der Liederkranz ernsthaft mit dem Gedanken trug, die Proben einzustellen –

 

April 1939: Der Chor umrahmt die Eingemeindungsfeier von Sondelfingen in Reutlingen, der Nazi-Terror mündet im Zweiten Weltkrieg, der Liederkranz blutet buchstäblich aus. Doch 1947 erwacht der Verein - allem Elend zum Trotz - zu neuem Leben. 1950 wird das 75-jährige Bestehen gefeiert, 1985 der hundertste Geburtstag.

 

Heute zählt der Liederkranz Sondelfingen 168 Mitglieder, davon 35 aktive Sängerinnen und Sänger. Mit vier Tenören und sechs Bässen ist er - gemessen an vielen anderen Chören - gut aufgestellt. Dennoch plagen auch ihn Nachwuchssorgen. Was das betrifft, ist der Verein ganz Kind seiner Zeit. Aber: Jetzt ist nicht der Augenblick, Trübsal zu blasen. Jetzt wird gefeiert - mit Sang und Klang. Und mit berechtigtem Stolz auf eine lange, wechselhafte und ereignisreiche Historie. (GEA)

Mit Sang und Klang durchs Jubiläumsjahr

Mit einer Jubiläums-Matinee am kommenden Sonntag, 7. März, um 10.30 Uhr eröffnet der Liederkranz Sondelfingen in der örtlichen Stephanuskirche den Veranstaltungsreigen zu seinem 125-jährigen Bestehen.

Weitere Programmpunkte im Laufe der nächsten Monate sind:

 

Samstag, 17. April, 19.30 Uhr, Jubiläumskonzert in der Festhalle - »In 80 Minuten um die Welt«

 

Samstag, 17. Juli, 20 Uhr, Singwettbewerb der örtlichen Vereine in der Sondelfinger Festhalle - »Contest um den originellsten Liedvortrag«

 

Sonntag, 18. Juli, 10 Uhr, Freundschaftssingen in der Sondelfinger Festhalle

 

Sonntag, 17. Oktober, 10.45 Uhr, Matinee in der Stephanuskirche

 

Montag, 1. November, 19 Uhr, Kirchenkonzert mit dem »Don Kosaken Chor« in der Johanneskirche

 

Sonntag, 12. Dezember, 17 Uhr, Adventskonzert mit der Sondelfinger Stubenmusik in der Stephanuskirche.